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Nierster Karnevalsgeschicht: Von „schnapsseligen Trödlern“

Nierster Karnevalsgeschicht: Von „schnapsseligen Trödlern“

Letzte Woche startete der Extra-Tipp Meerbusch seine Reihe über die KG Kött on Kleen. Jetzt folgt der zweite Teil.

Mit der Währungsreform von 1948 wird alles besser. Mit der D-Mark gibt es plötzlich wieder Geld, mit dem man etwas kaufen kann und auch der Karneval erwacht wieder zum Leben. Nach dem Überleben geht es den Menschen wieder ums Leben – und da gehören Feste und Feiern mit dazu. Nierst wird dabei eine große Ehre zuteil: Die Große Karnevalsgesellschaft von 1878 aus Krefeld weicht für ihre erste Nachkriegs-Sitzung nach Nierst aus. Im Gegensatz zum Krefelder Zentrum ist der Saal Winkes (früher Stapper) unversehrt geblieben.

Nierster waren bei ihren fahrbahren Untersätzen schon immer kreativ.
Nierster waren bei ihren fahrbahren Untersätzen schon immer kreativ.

Der närrische Besuch hat offenbar auch für Nierst einen wichtigen Impuls gegeben. Kött on Kleen-Schriftführer Hanni Roos und Karl Hölters rufen den alten Karnevalsverein wieder ins Leben zurück. Auf Rosenmontag gibt es bereits wieder das traditionelle Wurstessen im Festsaal, in dem bis zu 300 Gäste Platz finden. In der dazu gehörenden Wirtschaft Winkes befindet sich in diesen Jahren auch das Vereinslokal. Im Gästezimmer treffen sich 1949 die Aktiven mit weiblicher Begleitung zum Wurstessen. Wer solo kommt, muss fünf Mark Strafe zahlen – eine beachtliche Summe für diese Zeit. Wie früher geht es deftig zu. Die Würste werden gebraten, dazu gibt es Kartoffeln und viel Sauce. Pommes und Mayonnaise sind in Nierst noch nicht bekannt. In den nächsten Jahren wird das Wurstessen zu einer beliebten Festlichkeit, an der stets etwa 100 Männer und Frauen beteiligt sind. Die veränderten Verhältnisse erfordern 1949 auch eine Überarbeitung der althergebrachten Statuten. Da viele Aktive mittlerweile kurz vor der Hochzeit stehen, wird aus dem Junggesellenverein ein Männerverein. Auch Verheiratete dürfen nun Mitglied werden. Wer in einen anderen Ort zieht, muss allerdings weiterhin nach altem Recht aus dem Verein scheiden.

Nicht nur Erwachsene haben beim Nierster Karneval ihren Spaß, auch die Kinder kommen jedes Jahr auf ihre Kosten.
Nicht nur Erwachsene haben beim Nierster Karneval ihren Spaß, auch die Kinder kommen jedes Jahr auf ihre Kosten.

Um genügend Mitstreiter zu haben, wird auch dieser Passus geändert. Nur so kann 1950 der erste Rosenmontagszug nach dem Krieg auf die Beine gestellt werden. Bis heute haben sich diese Änderungen als Segen für Kött on Kleen erwiesen, denn fast alle Verantwortlichen befinden sich im Stand der Ehe.

Mit dem zünftigen Umzug wird der Rosenmontag nun endgültig zum Nierster Feiertag schlechthin. Als erster Nachkriegs-Prinz Karneval winkt Hanni Roos ins Publikum. Der alten Tradition gemäß holt er zuerst die Kinder von der damaligen Volksschule (heute Alte Schule) ab und zieht mit ihnen dann durch das Dorf, um die Würste einzusammeln. Von 9.30 Uhr bis 17 Uhr dauerte der Umzug der kostümierten Fußgruppen – also ähnlich wie heute. Ganz anders ist allerdings die Begleitung der Prinzen. Hanni Roos, Karl Brockerhoff und Peter Paas werden nicht von Ministern, sondern von Prinzessinnen begleitet. Anneliese Roos, Maria Brockerhoff und Agnes Frangen heißen die Nierster Venetien zwischen 1950 und 1952.

Dann stellt sich allerdings heraus, dass die Damen für die Prinzen finanziell nicht mehr tragbar sind. Es findet sich einfach kein neuer Prinz mehr. Als Preistreiber werden die prachtvollen Kleider ausgemacht. In dieser Krisensituation besinnt sich Urgestein Adolf Rütten, genannt der „Man“auf die Zeit vor dem Krieg. Der Junggeselle tritt 1953 als Prinz der Freien Herrlichkeit mit vier Ministern an. Doch der Verein kommt nicht zur Ruhe. Vereinswirt Hermann Winkes gibt 1954 die Wirtschaft an Johannes Broich ab, der Saal wird zuerst Flüchtlingsunterkunft, dann Wohnung für Gastarbeiter der Rheinischen Kunstseidenfabrik (Reika). In dieser Notlage wird Wilhelm Beesen eines Tages spontan geweckt. Er hat einen Laden mit Bäckerei und Gaststätte, spontan wird sein Ofen beheizt und eine Versammlung durchgeführt. So wird die heutige Wirtschaft „Zum Hasen“ neues Vereinslokal.

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Das Wurstessen ist gerettet und wird zunächst auf der Kegelbahn ausgerichtet. Auf Dauer kann diese Lösung aber nicht befriedigen. Da beschließen die Karnevalsjecken, auf dem Acker des Bauern Daniels neben der Kirche ein Zelt aufzubauen. Die örtlichen Landwirte holen das gute Stück hinter Moers ab und bauen es in Nierst wieder auf.

Weil es im Februar aber noch kalt ist, dichten die Nierster ihre Bleibe mit Mist ab. Eine simple Möglichkeit, die genutzt wird, bis die Lanker Amtsverwaltung die „Mist-Abdichtung“ verbietet. Später wird das Zelt auf dem Schulhof, nun also gegenüber der Kirche, aufgeschlagen, wo es jetzt schon seit fast fünf Jahrzehnten jedes Jahr steht.

Zum Rosenmontagsball spielen jeweils Blasorchester auf. Mit dabei sind im Laufe der Jahre Lank-Latumer, Stratumer, Osterather und Schiefbahner Kapellen. Was die Umzüge betrifft, werden seit 1960 jedes Jahr dieselben Posten vergeben. Neben Zugführer, Feldwebel und Tambour, stehen Pajas, Fähnrich, 1. und 2. Koch sowie Bär und Bärenleger zur Auswahl. Nur die beiden Antreiber gibt es heute nicht mehr; sie hatten an den einzelnen Zugstationen, sprich Höfen, darauf zu achten, dass der Zug nicht zu lange aufgehalten und so auseinander gerissen wurde.

Zuletzt walteten Willi Paas und Josef Pütz dieses Amtes. Sie sprangen allerdings mit „schnapsseligen Trödlern“ gelegentlich recht ruppig um. Weil dies nicht Sinn des lustigen Karnevalstreibens ist, wurden die Antreiberposten einfach abgeschafft.

Für die Nierster Kinder ist die Session 1960/61 ein denkwürdiges Ereignis. Annemarie Funke–Kaiser geb. Paas und Norbert Paas amtieren nämlich als erstes Nierster Kinderprinzenpaar. Zwar haben die Kinder und ihre Helfer schon vorher eine Art Karneval gefeiert, aber nun ist der Kinderkarneval eine feste Nierster Institution geworden. Aber kein Karneval ohne Wurzel: Schon vor dem Krieg organisiert Dorfschullehrer Skowronek eine Woche vor Rosenmontag einen Zug der acht Volksschulklassen durch die Gemeinde.

Auch die Schulkinder sammeln Würste, die anschließend gemeinsam verspeist werden. Viele der Aktiven von Kött on Kleen, die in den 50er und 60er Jahren das Faschingstreiben organisieren, haben dort ihre Begeisterung für das heimische Brauchtum entdeckt.

Auch nach dem Krieg ist es ein Dorfschullehrer, der die Nierster Kinder für den Karneval begeistert. Lehrer Meyer organisiert das Treiben zusammen mit Adolf Rütten.

Ihre Bemühungen gipfeln in der Kür des Kinderprinzenpaares Annemarie und Norbert Paas 1960. Bis 1968 sind Adolf Rütten und Jakob Meyer ein eingespieltes Team, dann wird die Volksschule geschlossen. Rütten übernimmt die Organisation nun ganz, bis 1979 das heutige Kinderkarnevalskomitee, kurz KIKAKO, aus der Taufe gehoben wird. Rütten wird als Verbindungsmann zum Kött on Kleen-Vorstand nun von neun Mitstreitern unterstützt. Es sind: Hans Roos, Hans Wolters, Hermann Fürth, Hermann Schrills, Johannes Schlungs, Franz-Josef Fehmers, Toni Vesper, Gerd Rose und Karl-Heinz Paas.

Nachdem die Nierster Kinder nunmehr in Lank-Latum zur Schule gehen, werden die Klassen der Theodor-Fliedner-Schule in den Nierster Karneval eingebunden. Die im Dorf lebende Grundschullehrerin „Frau Sörgel“ hat sich dabei besonders engagiert. Heute ist das Kinderkarnevalskomitee immer noch rührig und sorgt so für beständigen Narren-Nachwuchs für Kött on Kleen. So mancher hat eben als kleiner Jeck angefangen und ist mittlerweile ein richtig großer geworden.

(Report Anzeigenblatt)